Norge 09 – zwei Wochen im August

Wenn ich in den letzten Tagen des alten Jahres darüber nachdenke, was ich über die Fahrt nach Norwegen für den Rundbrief schreiben kann, stoße ich unweigerlich auf Schwierigkeiten. Wo soll ich mit meiner Erzählung anfangen?

Bei der Einladung von Faschi an alle Kameraden, ihn in seiner neuen Heimat zu besuchen? Bei der ersten Idee, aus dieser Einladung eine Bundesfahrt für jung und alt werden zu lassen, die, weitergesponnen, eine Wander-, eine Wohnmobil- und eine Motorradgruppe entstehen ließ? Beim Vorbereitungstreffen im Weissacher Backhäusle oder bei Joze in Berghausen? Ganz sicher nicht erst, als wir Motorradfahrer uns bei brütender Hitze auf der Raststätte Riedener Wald an der A7 getroffen haben. Überhaupt: von wem oder was erzähle ich, was lasse ich weg? Schreibe ich von der Landschaft, die wir viel zu schnell durchquerten, oder von den Menschen, die wir unterwegs getroffen haben? Ich will versuchen, einen Eindruck von dem zu vermitteln, was diese Norwegen-Fahrt hinterlassen hat, an was ich mich erinnere, wenn ich an diese Tour zurückdenke.

Zum einen ist das eine große Gastfreundschaft, die wir erlebt haben. Angefangen bei Lü, den wir nach der ersten langen Strecke erreicht haben und bei dem auch Jofri spätabends noch vorbeikam. In Südschweden haben wir kurz entschlossen Koschis Bruder überfallen, um für eine Nacht hinter dessen Ferienhaus das Lager aufzuschlagen. Vielen Dank nochmals dafür! Dann die Übernachtung bei Helga Knitter. Unterwegs hat uns die Auswandererin aus Magdeburg angesprochen, über woher und wohin haben wir palavert, bis spät in die Nacht hat uns ihr Schwiegersohn mit Räuberpistolen aus der Zeit der deutsch-deutschen Teilung unterhalten.

Schon nördlich des Polarkreises, als die Fahrt immer ungemütlicher wurde, haben wir eine wunderbare Frau getroffen, die uns für eine Nacht das Clubheim des örtlichen Motorradclubs zur Verfügung gestellt hat. Schließlich war sie die Vorsitzende des 180 Mitglieder umfassenden Vereins. Das muss man sich mal vorstellen! Ein Gebäude doppelt so groß wie der Allenspacher Hof einfach vier wildfremden Jungs zu überlassen, denen man zufällig beim einkaufen über den Weg gelaufen ist! Der Höhepunkt war natürlich das Treffen mit den Kameraden in Harstad. Faschi hatte alles bestens organisiert und von Astrid und Uwe auf der Insel Rolla wurden wir sehr herzlich aufgenommen und versorgt.

Aber was wäre ein Reisebericht, ohne wenigstens zu versuchen, die Landschaft zu beschreiben, die man gesehen hat, die man gespürt und gerochen hat. In Deutschland war es noch heiß, als wir nach wenigen Kilometern wegen einer Panne zur ersten Pause gezwungen wurden und zwei Stunden in praller Sonne warten mussten, bis die Reparatur geglückt war. Von Kopenhagen sind wir über die neue Öresundbrücke nach Malmö gefahren und wurden fast vom Wind hinuntergeweht. Schweden war landschaftlich wie das Bilderbuch, das man sich vorstellt, mit bunten Häuschen und weiten Wäldern, vor allem je weiter man nach Norden fährt. Unter anderem auf Schotterpisten, auf denen uns der Regen und die Kälte einholte. Über die Grenze nach Norwegen hat dann einer umgeschaltet: von weiten Hügeln und Seen auf enge Fjorde mit steilen Ufern und kurvigen Straßen. Es war jetzt wieder sonniger aber immer noch ziemlich frisch. Was uns nicht davon abhielt mit den Kameraden auf Rolla bis spät abends am Feuer zu sitzen, schließlich war es auch um halb zwölf noch hell.

Wieder auf dem Weg nach Süden fuhren wir an langen Fjorden entlang, aber auch über weite karge Hochebenen, wo einem auf 1400m schon mal ein Gletscher begegnet. Einer der landschaftlichen Höhepunkte war Ofredal, ein altes verlassenes Sägewerk mit einigen Holzhäusern, zu denen man nur gelangt über einen unbeleuchteten, 2km langen Tunnel mit konstant 18% Steigung und glitschigem Straßenbelag. Hier verbrachten wir eine Nacht direkt am Wasser des Sognefjords. Und selbst hier, am vermeintlich letzten und schönsten Fleckchen Norwegens tauchen am anderen Morgen zwei Ureinwohner auf, die es überhaupt nicht störte, dass wir uns dort breit gemacht hatten. Undenkbar auf der Schwäbischen Alb!

Zuhause angekommen war die Fahrt noch lange nicht vorbei. Mensch und Maschine mussten wieder auf Vordermann gebracht werden, die Eindrücke, die man auf vielen hundert Bildern einzufangen versuchte wollten sortiert und aufbereitet werden. Für’s Bundesfest und für das Nachtreffen, bei dem an einem nebligen Novemberwochenende die Erinnerungen aufgefrischt wurden. Und neue Pläne wurden natürlich auch geschmiedet. 2011 durchs wilde Kurdistan?

Der Weg ist das Ziel, Norwegen 09

An unserem Schlafplatz, direkt neben einem kristallklaren Bergsee eiszeitlichen Ursprungs, zwischen mit Moos bewachsenen Steinen, neben einem Wasserfall gelegen, bauten wir die auf Heidekraut gestellten Zelte ab und brachen zur zweiten Etappe auf.

Frohen Mutes bezwangen wir den ersten Anstieg, um die exquisite Aussicht über die südlichen Ausläufer der Lofoten zu genießen. Vor diesem traumhaften Panorama vollführte der Alex einige höchst akrobatische Übungen, die aber zum Glück weder ihm noch dem Panorama nachhaltigen Schaden zufügen konnten.

Wir wendeten uns gen Norden, um eine Talsohle zu durchschreiten. Der Abstieg ins Tal wurde dank der ausgezeichneten Ortskenntnis der Vorauseilenden zu einer mittelschweren alpinen Herausforderung, als wir nämlich glaubten, die Rucksäcke ungesichert eine Steilwand abseilen zu müssen, anstatt 20 m weiter einfach dem Weg weiter zu folgen. Mit dem Erreichen der Talsohle erreichte auch die Moral unserer sonst so wackeren Truppe den Tiefpunkt, da kundgetan wurde, dass das Essen rationiert werden müsse. Mit schwerem Herzen, aber umso leichterem Magen nahmen wir die Herausforderung des Aufstiegs aus dem Tal an, um auf der Höhe mit sommerlichen Schneefeldern belohnt zu werden. Eine kurze Schneeballschlacht später setzten wir unseren Weg durch diese unwirtliche und karge Landschaft fort. Da Chris, von Stund an der Überflieger genannt, unsere Melancholie nicht länger ertragen konnte, versuchte er, die Stimmung mit einer kleinen Flugeinlage zu verbessern, flog mit seinem Vorhaben jedoch wortwörtlich auf die Schnauze.

Wie das eben in Norwegen so ist, war wenig später schon wieder ein Abstieg angesagt. Entlang und abschnittweise auch auf einer Frischwasserpipeline laufend erreichten wir, unter hitzigen Diskussionen über den Pipelinebau im Allgemeinen, wieder Normalnull. In diesem Augenblick übermannte uns eine entsetzliche, gleichzeitig aber spürbar klare, durch nichts zu widerlegende Erkenntnis: Die letzten zwei Etappen, die wir ja nun nicht unbedingt auf dem linken Bein hüpfend hinter uns bringen durften, hätte auch durch eine einzige Etappe auf Normalnull entlang der Straße ersetzt werden können. Aber kommt es darauf denn wirklich an? Nein, und abermals nein! Wir sagen mit blutiger Nase und stolz geschwellter Brust: Der Weg ist das Ziel!

Durch einen Sumpf kämpften wir uns in ein verlassenes Fischerdorf, das dennoch stark bevölkert war. Ein Hund und sein Herrchen wedelten heftig mit dem Schwanz, denn freundlicherweise erklärte sich das Herrchen, der geldgeile Sack, bereit, gegen ein kleines Entgeld uns mit seinem Motorboot zum gegenüberliegenden Dorf über den Fjord zu setzen. Er überfjordete uns also, was norwegisch ist und ins Deutsche übersetzt ungefähr heißt: Touristen abzocken.

Auf der Suche nach einem Schlafplatz machte Philipp die Bekanntschaft mit einer Gruppe Gastarbeitern, deutschen Zimmermännern, welche uns mit den Worten „Pennt doch da wo ihr umfallt, macht jeder so hier, gilt ja schließlich Jedermannsrecht“ an den auf der anderen Inselseite liegenden Strand schickten, nachdem wir sie mit einigen wenigen Dosen voll deutschem Billigbier geschmiert hatten, welche johlend entgegengenommen wurden. Dazu mussten wir allerdings noch einmal einen Anstieg, nämlich eine Sanddüne erklimmen, was der Moral mal wieder sehr abträglich war. Die Aussicht jedoch auf eine geruhsame Nacht mit herrlichem Meeresblick, eine warme Mahlzeit im Bauch, für einige eine Gute-Nacht-Zigarette, aber vorrangig der Vorschlag, sämtliche übriggebliebenen Biervorräte zwecks Gewichtsreduktion (das glaubt uns doch keiner) zu vernichten, ließ unsere Laune schlagartig steigen. So fand auch dieser Fahrtentag ein versöhnliches Ende und ließ uns frohen Herzens dem nächsten Tag entgegenblicken.