Es fühlt sich unwirklich an. Ich kann ausschlafen. Eigentlich ist zwar noch der letzte Schultag, doch ich habe schon frei. So viel Schlaf werde ich die nächsten Tage nicht mehr bekommen, das ist mir klar, deshalb bleibe ich lange liegen. Heute Abend werde ich auf das Bundeslager unserer Freunde, der Grauen Reiter, fahren. Diese haben uns wie in jedem Jahr eingeladen, dieses Mal nach Tuttlingen, ganz in der Nähe unseres Hofes. Nachdem ich den Mittag vertrödelt habe, packe ich meine Sachen; der Rucksack ist dieses Mal schwer, weil ich für das Gastmahl, bei dem jede Gruppe etwas kocht, von dem man dann in einer Art Büffet etwas nehmen kann, Kochutensilien dabeihabe und alex und ich im Anschluss eine kleine Fahrt mit ungewissem Ziel geplant haben. Außerdem erfordert das Motto des Lagers – „Die 20er-Jahre“ – etwas mehr Garderobe. Ich habe also auch Hemden und Schiebermützen dabei, eine Fliege und Hosenträger werde ich mir gleich noch bei einem Freund borgen. Sobald das erledigt ist, fahre ich mit dem Zug nach Tuttlingen und weil die Bahn – wie man es von ihr gewohnt ist – Verspätung hat, verpasse ich den Anschlusszug und laufe deshalb noch eine Stunde zum Lagerplatz. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Ich sehe beim Ankommen erstmal kein bekanntes Gesicht, doch dann taucht moggli auf, der uns später spontan auf die Fahrt begleiten sollte, und schickt mich zu unseren Gastgebern, dem Stamm der Alamannen. Diese essen gerade und ich kann mich gleich dazusetzen, neben unseren Bundesbruder Markus (bbm), der sich freut, dass er nicht mehr der einzige Horter ist. Im Feuerschein erkenne ich langsam, wie viele Bekannte da sind, die mir zuvor entgangen sind. Nicht nur graue Reiter sind dabei, sondern auch unserer Freunde von der Pfadfinderschaft Süddeutschland sind zahlreich erschienen. Mit ihnen haben wir im Vorfeld bereits unsere Aufgabe als Gruppe geplant, die wir beim Rollenspiel haben, das zwei Lagertage füllt: Wir sind das Taxiunternehmen. Doch das war uns nicht genug, sodass wir beschlossen haben, dieses nur als Tarnung für eine Untergrundorganisation zu benutzen, die mit Waffen (=Wasserpistolen) und Drogen (=Kaugummizigaretten) handelt. Wir lassen den Abend gemütlich ausklingen und ich lege mich schließlich schlafen.
Am nächsten Morgen wache ich neben einer unbekannten Frau auf, jeder im eigenen Schlafsack natürlich und ganz züchtig, das muss man dazusagen ?Nachts müssen noch weitere PSDler angekommen sein, was ich aber im Tiefschlaf nicht mitbekommen habe. Eva war mir bisher, wie auch Jakob, der ebenfalls mit Wooki angereist ist, nicht bekannt, doch wie zumeist mit Bündischen ist man irgendwie ähnlich gestrickt, sodass wir alle am Ende des Wochenendes eine verschworene Gruppe sind, die sogar als Gäste wie die Stämme der Grauen Reiter gleich eine Aufgabe für das nächste Lager zugeteilt bekommen hat.
Nach dem Frühstück beginnt die Vorbereitung für das Rollenspiel. Ich helfe Wooki und Timo, die Fahrzeuge auszuladen und bin hellauf begeistert von der Rikscha, die sie aus einem Einkaufswagen und einem Fahrrad gebaut haben. Wir werfen uns alle in Schale und los geht es mit dem Spiel. Wir transportieren Menschen von der Stadtverwaltung zur Milchbar oder dem Casino und versuchen dabei, manchen vom Kauf einer (Kaugummi-)Zigarette zu überzeugen, ohne die Aufmerksamkeit der Polizei auf uns zu ziehen, die aber sowieso zur Willkür und Korruption neigt, sodass man die Vorsicht schnell fallen lassen kann. Zu Beginn will jeder sein Geld beisammen halten, denn es gilt erst herauszufinden, welche Angebote es alles gibt: einen Barbier, eine Lagerpost, einen Gemischtwarenhandel, der eigentlich das Monopol auf Süßigkeiten hat, und sogar Schuhputzer. In dieser Welt bewegt man sich also nun und versucht Deals mit der Mafia abzuschließen, nimmt an Beerdigungen teil, bei denen im Sarg das Bier für den Abend in die Pinte geschmuggelt wird, oder isst einfach eine wirklich günstige Waffel, die man sogar mit dem Falschgeld bezahlen kann, das die Mafia vor dem eigentlichen Lager mit einigem Aufwand hergestellt und verschickt hat. So vergeht der Tag, der nicht nur für die Pimpfe viel Spaß bringt, und abends putzt man sich nochmals etwas mehr heraus, um in die Pinte zu gehen, in der es nun ab 21 Uhr auch Bier käuflich zu erwerben gibt. Die Grauen Reiter haben keine Kosten und Mühen gescheut und die Band „Oleg und die Popovs“ eingeladen, sodass auch getanzt wird, bevor das Konzert fließend in eine Singerunde übergeht, die bis spät in die Nacht fortbesteht, bevor man müde in den Schlafsack kriecht. Ich halte dabei nur bis ca. 1 Uhr durch, doch die anderen crashen sogar noch die Party beim benachbarten Angelverein und schwingen Erzählungen zufolge zu ganz und gar unbündischen Melodien das Tanzbein.
Am nächsten Tag wird das Spiel – aufgrund der nächtlichen Aktivitäten vielleicht mit etwas weniger Elan – weitergeführt und abends versammelt man sich mit ca. 200 grauen Reitern ums Bundesfeuer, wo einige neue Mitglieder in den Pfadfinderbund aufgenommen werden oder ihr Halstuch verliehen bekommen. Wieder endet der Abend in der Pinte, dieses Mal halte aber auch ich länger durch und erlebe mit unserem Bundesführer Alex, der am zweiten Abend nachgekommen ist, mal wieder den Sonnenaufgang, bevor wenige Stunden später allgemeines Wecken und nach einer kurzen Abschlussrunde der Abbau angesagt ist.
Alex und ich haben in der letzten Nacht beschlossen, dass wir mit bbm nach Ingolstadt fahren und überreden auch moggli, uns spontan zu begleiten. Dies tun wir und genießen dort im Gasthaus die hervorragende bayrische Küche. Am nächsten Morgen machen wir uns dann auf den Weg nach Eichstätt, von wo aus wir den Wanderweg durch das Altmühltal für 3 Tage gehen wollen. In Eichstätt, das wie so viele bayrische Städtchen einfach nur schön ist, stärken wir uns mit einer Leberkässemmel und erledigen die letzten Einkäufe. Der Weg biegt gleich in den Wald ein und führt über Pfade steil nach oben. Wir kommen kräftig ins Schwitzen, doch das vom Wegnamen versprochene Panorama entschädigt uns sogleich. Den ganzen Mittag wandern wir am Hang entlang und legen erst im nächsten Örtchen eine wohlverdiente Pause an der langsam fließenden Altmühl ein, die von einem Radler versüßt wird. Weil moggli mittlerweile das schlechte Gewissen plagt, weil er eigentlich seiner Großmutter versprochen hat, sich in seinem Urlaub um sie zu kümmern, beschließen wir schon hier, doch einen Tag früher abzureisen. Für den Abend suchen wir nun nach einem Lagerplatz, kochen auf dem Feuer ein warmes Essen und verschwinden dann bald in den Schlafsäcken, weil das Defizit vom Lager doch noch spürbar ist und die 30km Tagesetappe doch auch nicht ganz ohne sind. In der Nacht regnet es und auch am Morgen sollte es noch so viel regnen, dass es nicht so schlimm war, dass wir nach weiteren 10km Fußmarsch früher abreisen. Auf der Heimreise kehren wir dann nochmals im Gasthaus ein und genießen das fränkische Krustenschäufele, welches Alex letztendlich bei der Diskussion über das Ziel unserer Fahrt davon überzeugt hat, dass Bayern eine gute Wahl sei. So sind alle zufrieden und wir versprechen uns, bald wieder auf Fahrt zu gehen, die beim nächsten Mal dann auch etwas länger sein soll.
Autor: quak